Gertrud

 

Klaus duckte sich hinter der Hecke, damit sein bester Freund und
Arbeitskollege Johannes ihn nicht sah. Er kam sich dabei schon ein bisschen merkwürdig vor, aber
der Streit von vorhin in der Firma ging ihm immer wieder durch den Kopf.
„Schon wieder Parfüm für Gertrud? Das ist schon das dritte Mal in dieser
Woche! Was macht sie damit? Badet sie darin oder trinkt sie es?", hatte er
gelästert und lachte, als er sah, das sein bester Freund eine hübsch verpackte Schachtel
aus dem Spind nahm und in seine Tasche steckte.
„Gertrud ist nun mal sehr eitel und obwohl sie so schwer krank ist, legt sie
größten Wert auf ein gepflegtes Äußeres. Außerdem ist es diesmal kein
Parfüm! Was geht es dich eigentlich an, wie oft ich meiner Frau ein
Geschenk mache?“, hatte Johannes geschnauzt und war wütend aus dem
Umkleideraum gestürmt.
Vollkommen verblüfft und sprachlos über diese Reaktion schaute Klaus
seinem Freund nach.
Es war allgemein bekannt, das Gertrud immer noch Johannes große Liebe
war, obwohl sie schon über 30 Jahre verheiratet waren und das er sich, seit
sie so schwer krank war, aufopferungsvoll um sie kümmerte.
Irgendetwas stimmte aber nicht! Schon seit längerer Zeit fiel Klaus auf, das
Johannes Verhalten immer merkwürdiger wurde, sobald er auf seine Frau
angesprochen wurde.
Vielleicht hat sie ein Verhältnis mit einem der Pfleger, die bei ihr sind, wenn
Johannes arbeitet, dachte Klaus, grinste breit. Eine Sekunde später schämte er
sich für seinen heimlichen Witz.
Niemals würde Gertrud so etwas tun, dessen war er sich sicher.
Um endlich herauszufinden was hinter Johannes merkwürdigen Verhalten steckte,
stand er jetzt hinter der Hecke und
wartete darauf, das sein Kumpel vielleicht das Haus verließ. Klaus wollte
mit Gertrud alleine sprechen. Vielleicht konnte sie ja etwas Licht ins Dunkel
bringen.

Nach einer gefühlten Ewigkeit verließ Johannes das Haus mit einem
Einkaufskorb in der Hand und stieg in sein Auto. Klaus duckte sich noch tiefer, um
nicht bemerkt zu werden. Als der Wagen seines Freundes außer Sichtweite
war, kam er aus seinem Versteck und klingelte an der Haustür. Nichts
passierte. Nachdem er eine Weile gewartet hatte, ging er um das Haus herum
auf die Terrasse des befreundeten Ehepaares und sah, das die Terrassentür
einen Spalt offen stand.
Schon als er das Wohnzimmer betrat, fiel ihm ein starker, merkwürdiger
Geruch auf. Eine Mischung aus verschiedenen Parfüms...und noch etwas.
Vom Flur aus sah er Gertrud dann. Sie saß, nur mit einem Bademantel
bekleidet und mit dem Rücken zu ihm, am Küchentisch.
„Gertrud, nicht erschrecken! Ich bin es! Klaus! Ich muss mit dir reden. Sag
mal, was ist eigentlich mit Johannes los? Er benimmt sich seit Wochen so
merk......... In diesem Moment hatte er den Tisch, an dem Gertrud saß,
erreicht. Er war noch für ein Frühstück zu zweit gedeckt. Überall standen Parfümflaschen herum.
Dann sah er Gertrud an.
Seine Augen weiteten sich. Für einen Moment
hatte er das Gefühl einen Schlag in den Magen bekommen zu haben und er
schnappte nach Luft.
Er sah in ein Gesicht, das nur noch teilweise mit Haut bedeckt war.
Eine Perücke mit langen braunen
Haaren saß auf dem Schädel. Glasaugen, die in die leeren Augenhöhlen
gesteckt worden waren, starrten ihn an. Der Geruch, der ihm schon beim reinkommen aufgefallen
war - eine Mischung aus Parfüm und dem faulenden Fleisch,
raubte ihm den Atem. Trotz der Übelkeit, die in ihm aufstieg, konnte er
seinen Blick nicht abwenden. Vollkommen geschockt wanderten seine
Augen weiter über die grausige Gestalt, die vor ihm saß.

Tränen der Trauer und des Verstehens liefen Klaus über das Gesicht.