Allein im Wald

Es war schon nach Mitternacht, als Lea aus dem Bus stieg. Das war der Letzte für heute und sie war froh, dass sie ihn noch bekommen hatte. Sonst hätte sie die neun Kilometer bis nach Hause laufen müssen. Jetzt war es nur noch ein knapper Kilometer und sie war daheim. Einen Moment lang schaute sie noch den Lichtern des Busses nach, dann machte sie sich auf den Weg.

 

Die Abkürzung verlief vorbei an Feldern und dann durch einen kleinen Wald. Sie schaute nach oben in den bewölkten Himmel. Kein Stern war zu sehen. Den Mond sah man nur als einen verwaschenen Lichtfleck, der durch die Wolken schimmerte.

Sie fröstelte leicht und zog ihre Jacke fester um ihren Oberkörper.

Um sich die Zeit zu verkürzen, ließ sie den Abend noch einmal Revue passieren, den sie mit Freunden in einer gemütlichen Kneipe verbracht hatte. Mittlerweile hatte sie das kleine Waldstück erreicht. Hier war es noch dunkler und unheimlicher.

 

Sie horchte in die Dunkelheit. Waren das Schritte hinter ihr? Als sie sich umdrehte, war weder etwas zu hören noch zu sehen. Wahrscheinlich hatte sie sich das nur eingebildet oder den Hall ihrer eigenen Schritte gehört. Entschlossen  ging sie weiter - und da waren sie wieder - ganz deutlich. Das waren nicht ihre eigenen Schritte -  und sie schienen näher zu kommen. Ihre Hand glitt in die Tasche ihrer Jacke und sie entspannte sich ein bisschen, als sie den Gegenstand ertastete, nach dem sie gesucht hatte.

 

Lea spürte, wie sich ihre Sinne schärften.

 

Wieder drehte sie sich um und sah plötzlich eine Gestalt in der Dunkelheit...kaum zu erkennen. Nur schemenhaft. Ihr Herz begann zu klopfen und sie beschleunigte ihre Schritte. Auf ihrem Gesicht zeigte sich Anspannung und sie merkte, dass sich die Nervosität in ihrem ganzen Körper breit machte. Noch einmal kontrollierte sie die Tasche ihrer Jacke. Sie lächelte zufrieden.

 Dem Geräuschen der Schritte nach zu urteilen kam die Gestalt schnell näher und als sie sich das nächste Mal umdrehte, war sie nur noch zwei Armlängen von ihr entfernt. “Le…”

 

Ein Schrei durchbrach die Stille. Davon aufgeschreckt flatterte ein Schwarm Krähen laut krächzend aus den Bäumen. Als sie sich beruhigt und wieder auf ihren Plätzen niedergelassen hatten, herrschte gespenstische Stille.

 

“Gestern in den frühen Morgenstunden wurde auf der Straße durch den Angerwald die Leiche eines jungen Mannes gefunden. Sie war so schlimm zugerichtet, dass eine Identifizierung noch nicht möglich war. Die Mordwaffe, voraussichtlich ein Messer, wurde auch dieses Mal nicht gefunden. Das ist der dritte Mord innerhalb des letzten halben Jahres”, las der Vater aus der Lokalpresse vor. “Schrecklich”. “Ja schrecklich”, pflichtete Lea ihrem Vater bei und biss unberührt in ihr Brötchen.